Engelwurz (Angelica archangelica)

Aus Pflanzenwiki

Weitere Namen

Engelwurz, Sämling (23.4.)
Engelwurz, Austrieb (18.3.)
Engelwurz, aufbrechende Blütenknospen (4.6.)
Engelwurz, Blüte (31.5.)
Engelwurz, Samen (18.7.)
Engelwurz, Rest vom Samenstand (19.9.)
Engelwurz, Samen

Angelika, Brustwurz, Erzengelwurz, Theriakwurz, Heiliggeistwurzel

Botanischer Name

»Angelica« von lat. angelicus - Engel, »archangelica« lat. Erzengel, Erstbeschreibung 1753 durch Carl von Linné (1707-1778) schwedischer Naturforscher

Englischer Name

Garden-Angelica

Familie

Doldenblütler, Apiaceae

Verbreitung

Nord- und Osteuropa,Westasien, Nord- und Ostseeküste, vielfach ausgewildert

Wuchs

im ersten Jahr grob fiederblättrige Rosette bis etwa einen Meter Durchmesser,im zweiten (dritten/vierten) Standjahr bis armdicker Blütenschaft,große Hauptdolde, mehrere Nebendolden, nach der Samenreife absterbend

Standort

(sonnig) halbschattig bis schattig, nahrhafter Boden

Blütezeit

Juni, Juli

Blüte

große, nahezu kugelförmige Doppeldolde, grünlich-gelbe unauffällige Einzelblüten

Fruchtreife

September, Oktober

Frucht

bei Reife hellbraun, abgeplattet breit elliptisch, fällt nach der Reife schnell ab

Vermehrung

Aussaat am Besten direkt nach der Fruchtreife (Samen verlieren schnell an Keimkraft)

Frosthärte

oberirdisch absterbend, Wurzel fosthart

Tierische Besucher

Bestäubung hauptsächlich durch kleine Käfer und Fliegen, besonders Jungpflanzen sind durch Schnecken gefährdet

Pflege

kaum Pflege nötig, dekorativen Samenstand eventuell stützen

Verwendbare Teile

Wurzel im Spätherbst oder zeitigem Frühjahr (vor dem Neuaustrieb), getrocknet als Tee magen- und verdauungsstärkend, in kaltem Wasser angesetzt, aufgekocht, zehn Minuten köcheln lassen dann abseihen als Aperitif zur Anregung der Magensaftproduktion, nach Hildegard von Bingen ist die Engelwurz eine Art "Universalheilmittel", Stängel der frisch austreibenden Blätter kandiert als Süßigkeit oder Zutat zu Kuchen und Obstsalat, Bestandteil von Kräuterlikören wie »Chartreuse«

Inhaltsstoffe

ätherische Öle, Cumarin, Bitterstoffe, Gerbstoffe, Furanocumarine (Bergapten, phototoxisch!), Zucker

Status

anwesend, Jungpflanzen vorhanden

Literatur

  • Bärlauch und Judenkirsche S.88, Gerhild Birmann-Dähne (1996)
  • Bienenweide und Hummelparadies S.210, Dave Goulson (2021)
  • Das Kräuterkulinarium S.56, Maiga Werner (2014)
  • Das neue BLV Buch der Kräuter S.117, Richard Mabey (Hrsg.) (1989)
  • Die Kräuter in meinem Garten S.147, Siegrid Hirsch, Felix Grünberger (2008)
  • Dumonts große Kräuter-Enzyklopädie S.238, Deni Bown (1995)
  • Enzyklopädie Essbare Wildpflanzen S.498, S.G.Fleischhauer, J.Guthmann, R.Spiegelberger (2013)
  • Essbare Landschaften S.18, Olaf Schnelle, Ralf Hiener (2003)
  • Essbare Wildbeeren und Wildpflanzen S.182, Detlev Henschel (2002)
  • Feld- Wald- und Wiesenkochbuch S.30, Eve Marie Helm (1978)
  • Giftpflanzen Pflanzengifte S.126, Roth, Daunderer, Kormann (1994)
  • Großes Kräuter- und Gewürzbuch S.42, Heinz Görz (1987)
  • Heilkraft aus dem Garten S.79, Wolfgang Hensel (1998)
  • Illustriertes Heil-, Gift- und Nutzpflanzenbuch S.159, Adelbert von Chamisso (1827)
  • Klassische Kräuter und Heilpflanzen S.46, Gioia Romagnoli, Stefania Vasetti (1994)
  • Kölbls Kräuterfibel S.48, Konrad Kölbl (1993)
  • Köstliche Kräuter S.50, Marion Nickig, Heide Rau (1998)
  • Köstliches aus dem Garten S.172, Marion Nickig, Heide Rau (2005)
  • Kräuter S.105, Burkhard Bohne (2010)
  • Kräuter S.103, Ursula Stumpf (2018)
  • Kräutermärchen S.7, Folke Tegetthoff (1998)
  • Leckere Rezepte aus dem Kräutergarten S.146/166, Marion Nickig, Heide Rau (1998)
  • Mit Pflanzen verbunden S.67, Wolf-Dieter Storl, (2005)
  • Naturmedizin Heilkräuter S.36, Penelope Ody (2000)
  • New Kreüterbuch Cap.XLIII, Leonhart Fuchs (1543)
  • Spaziergänge in meinem Garten S.166, Anne-Marie Koenig (1998)
  • The Bedside Book of the Garden S.221, Dr. D.G. Hessayon (2008)
  • Vom Geschmack der Lilienblüten S.253, Jürgen Dahl (1995)
  • Von Timmerjahn, Hollerblüh und Bettstroh S.54, Christiane Freuck (2009)
  • Wo der Pfeffer wächst S.62, Hansjörg Küster (1987)
  • Zeit im Garten S.110, Jürgen Dahl (1991)
  • kraut&rüben, 1/2001, 12/2005, 5/2020 S.61

Geschichte und Geschichten

Wenn die Engelwurz sich versamen darf, dann macht sie das gründlich und manch einen unbedarften Gärtner überkommt im ersten Moment die Panik, wenn er sieht, was da keimt. Engelwurzsämlinge sehen dem Austrieb vom Lieblingsfeind (fast) aller Gärtner, dem Giersch, verblüffend ähnlich. Der erste Schreck ist hoffentlich vorbei ehe alles radikal herausgerissen wurde, denn schon am Duft sind die beiden Pflanzen leicht zu unterscheiden.

Beide gehören der Familie der Doldenblütler (Apiaceae) an, der Wuchs unterscheidet sich aber deutlich. Die Engelwurz würde niemals Wurzelausläufer bilden, dafür wird sie wesentlich größer als der Giersch. Wie groß, das hängt vom Nährstoffangebot ab. Im ersten Jahr bildet sich eine grundständige Rosette, aus der die lang gestielten mehrfach geteilten Blätter hervorwachsen. Bei gutem Nahrungsangebot kann sie durchaus einen Quadratmeter Platz beanspruchen. Erreicht sie bis zum Herbst eine solche Größe, wird ihr Leben nicht länger als zwei Jahre dauern. Sie lagert die Nährstoffe des Sommers in ihren Wurzeln ein und zieht sich über Winter von der Oberfläche zurück. Der Austrieb des zweiten Jahres ist nicht mehr mit Giersch zu verwechseln, was jetzt aus der Wurzel hervor wächst ist von Anfang an wesentlich mächtiger.

Nach dem Blattaustrieb schiebt sich im Juni aus der Mitte der Rosette der Blütenschaft empor, kann unter guten Bedingungen mehr als mannshoch werden und so dick, dass er mit einer Hand nicht zu umspannen ist. Das Besondere an der Engelwurz sind ihre fast perfekt kugelförmigen Doppeldolden. Die Blüten selbst sind unspektakulär, meist grünlich, die Doldenform aber ist einfach großartig. Neben der Hauptdolde bilden sich etliche kleinere, im unteren Stängelbereich entstehen Seitentriebe, die ebenfalls in Dolden enden. Käfer und Fliegen zählen zu den Bestäubern der imposanten Pflanze, sitzen an sonnigen Tagen in großer Zahl am offen dargebotenen Nektar. Nach erfolgreicher Bestäubung entstehen rundliche Samen, die von einer dünnen abgeflachten Haut umgeben sind. Sie ermöglicht eine begrenzte Flugfähigkeit zur Verbreitung der Pflanze. Der Wind schüttelt die reifen Samen aus ihrer Verankerung, die meisten landen unweit der Mutterpflanze, die somit ihren Zweck erfüllt hat und abstirbt. Die Blätter vergilben, der Blütenschaft vertrocknet. Ohne Blattwerk wird seine Struktur sichtbar, die Stabilität gebende Riffelung, die Knoten mit ihren Verzweigungen und die filigranen Reste der Dolden. Solange die Wurzel noch genug Halt gibt, kann die Pflanze bis in den Winter hinein einen sehr attraktiven Blickfang bieten.

Da die Samen der Engelwurz, wie die vieler anderer Doldenblütler auch, nur eine begrenzte Lebensdauer haben, müssen sie schnell ausgesät werden. Der beste Standort ist immer der, an dem der Same von alleine keimt. Wenn dort also genügend Platz vorhanden ist und nicht auf allzu strenge Ordnung geachtet wird, werden im folgenden Frühjahr viele kleine Engelwurzen erscheinen. Solange sie jung sind, lassen sie sich problemlos verpflanzen, vertragen Sonne ebenso gut wie Halbschatten, solange der Boden nährstoffreich und halbwegs feucht ist. Leider mögen Schnecken aller Art die Engelwurz sehr gerne, kriechen bis in den Blütenstand hinauf, um die zarten Knospen zu vertilgen. Dann wird natürlich nichts aus der schönen Kugeldolde. Auf weniger nahrhaften Böden wächst die Pflanze deutlich langsamer und bleibt kleiner. Sie kann dann drei, vier oder sogar fünf Jahre alt werden, ehe sie blüht.

In freier Natur wird die Pflanze immer seltener, sie bevorzugt feuchte Wiesen und Uferböschungen in eher kühleren Lagen. Werden diese zu häufig oder zum falschen Zeitpunkt gemäht so geht im Laufe der Jahre der Bestand verloren. Wurzel oder Stängel sollten daher auch nicht aus Wildsammlung stammen, wenn sie verarbeitet werden sollen.

Die Engelwurz stammt aus nördlichen Gegenden, älteste Berichte stammen aus Grönland, Island und Skandinavien,wo Stängel und junges Kraut der Pflanze als Nahrungsmittel genutzt wurden. Weder die Landgüterverordnung Karls des Großen noch Hildegard von Bingen erwähnen die Engelwurz, da sie erst ab dem späten Mittelalter in Mitteleuropa kultiviert wurde. Der Legende nach brachte ein Erzengel das heilkräftige Kraut zu einem frommen Einsiedler um ihn vor der Pest zu schützen. Das wäre eine Erklärung des Namens, möglicherweise leitet er sich aber auch von der ungeheuren Wuchskraft ab, die die Pflanze zum Erzengel unter den Kräutern machte. Im botanischen Namen Angelica archangelica ist der Engel gleich doppelt vertreten, Angelika ist ein auch im allgemeinen Sprachgebrauch befindlicher Name.

Die Klöster nahmen sich der Pflanze an, ihr wurde eine Heilwirkung gegen fast "jedes Übel" nachgesagt. So wirkt ein Tee aus der getrockneten Wurzel vor den Mahlzeiten getrunken Appetit anregend und auch Bronchialleiden lassen sich positiv beeinflussen. In Klöstern wurden auch verschiedenste heilkräftige Kräuterliköre angesetzt, Engelwurz ist unter anderem im Chartreuse enthalten. Äußerlich wirken Bäder und Einreibungen schmerzstillend bei Rheuma und Muskelschmerzen. Im Mittelalter wurden Engelwurzblätter im Haus verbrannt, um die Räume zu desinfizieren. Empfindliche Menschen können allerdings mit Hautreizungen auf die frische Pflanze reagieren, denn wie viele andere Doldenblütler auch enthält sie Furano-Cumarine, Stoffe, die fototoxisch wirken und bei Sonneneinstrahlung zu verbrennungsähnlichen Symptomen führen können.

Eine so beeindruckende Pflanze muss natürlich auch gegen allerlei böse Geister wirksam sein. Sie galt als Symbol der Dreifaltigkeit, da der Stängel zwischen den zwei ihn umschließenden Hüllblättern emporwächst. Daher auch der Name "Heiliggeistwurzel". Als Amulett bei sich getragen galt sie als so wirkungsvoll gegen Hexerei und Schadzauber, dass sie fast ausgerottet wurde. Sie half aber auch, Prüfungsängste und andere Unsicherheiten zu überwinden. Liebende beschirmte sie und auch eine fruchtbarkeitssteigernde Wirkung wurde ihr nachgesagt.

Kulinarisches

Kandierte Engelwurzstängel

  • junge Engelwurzstängel
  • Zucker
  • Wasser
  • Die Engelwurzstängel in kleine Stücke schneiden und in ein hohes Gefäß geben. Je nach Menge Wasser und Zucker im Verhältnis 1:1 aufkochen und 10 Minuten köcheln lassen. Heiß über die Engelwurz gießen und abgedeckt stehen lassen. Nach zwei Tagen die Flüssigkeit erneut aufkochen, über die Stängel gießen und stehen lassen. Die Prozedur 5 Mal wiederholen. Jetzt die Stängelstücke abtropfen lassen und im Backofen bei geringer Wärme (50°C) gut trocknen lassen. Den Sirup entweder flüssig lassen und heiß in Gläser füllen oder etwas einkochen bis er dickflüssig wird. Dann ist er auch als Brotaufstrich verwendbar. Die kandierten Stängel können entweder einfach so genascht werden oder in Kuchen oder Kekse eingebacken ihr besonderes Aroma entfalten.